Wir Superhelden 2

Freitag, 28. Juni 2019 15:13

Inteview mit Marcel Fässler, dreimaliger Sieger 24h Le Mans

Die grösste Enttäuschung in Ihrer Karriere?Was mich am meisten schmerzte war bei Mercedes in der DTM.  Da habe ich am eigenen Leib erfahren, wie die politischen Spielchen laufen. Hintenherum gab es Gerede, vorneherum wurde ich belogen.  


Ist es nicht so, dass ausgerechnet im Rennsport viel betrogen und gelogen wird?

Ich bin gutgläubig. Ein Wort ist ein Wort, so sehe ich das, auch wenn das andere als naiv bezeichnen würden.  Es waren vier tolle Jahre mit Mercedes, man ist ein Team von Leuten, das sich sehr gut kennt, man verbringt mit diesen Leuten mehr Zeit als mit seiner Familie. Da baut man dann auch privat Beziehungen auf, geht mal grillieren, befreundet sich. Ich verlor die Distanz, fühlte mich sicher. Ich konnte mir keinen Grund vorstellen, warum man mich ersetzen wollte, schliesslich verstanden wir uns alle gut und die Resultate stimmten. Die Enttäuschung war letztlich so gross, dass ich den Rennstall von mir aus verliess.  


Sie betonen Ihre Gutgläubigkeit und Ihre Ehrlichkeit. Wäre Ihre Karriere erfolgreicher verlaufen, hätten auch Sie politische Spielchen gespielt?

Nein. Ehrlichkeit ist Erziehungssache. Ich kann niemandem ins Gesicht lügen, auch wenn es vielleicht Vorteile bringen würde. Ich kanns einfach nicht. Ich denke eher, dass ich so weit gekommen bin, weil ich so bin, wie ich bin. Ich hätte keine Wegbegleiter gefunden, die mir geholfen hätten, wäre ich nicht immer ehrlich gewesen.  

Haben Sie Freunde unter Rennfahrern? 

Es gibt Freundschaften, allerdings selten. Grundsätzlich ist der Umgang unter uns Piloten oberflächlich. Man grüsst sich, aber privat kommt man sich nicht näher. Immerhin, mit zwei Piloten treffen wir uns als Familien auch privat. 


Man sagt, ein Kind mache einen Piloten pro Runde eine Sekunde langsamer. Sie haben vier Töchter. Wären Sie als Single der schnellste Mann der Welt?

Ja, der bestbezahlte und schnellste Mann der Welt, vier Sekunden schneller auf eine Runde als alle andern. Blödsinn. Früher in den 60er- und 70er-Jahren, da wusstest du am Anfang von der Saison beim Gruppenbild der Fahrer, dass am Ende der Saison zwei oder drei tot waren. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Piloten damals mit jedem Kind etwas langsamer wurden.  


Sie haben auch Weggefährten, die tödlich verunglückt sind. 

Das ist sehr intensiv. Einer war mein Teamkollege, der bei Testfahrten in Le Mans tödlich verunglückte. Immer, wenn ich in Le Mans die Strecke vor dem Rennen ablaufe, komme ich an der Unfallstelle vorbei. Man vergisst das nie. 

 

Reden Piloten darüber?

Nein.

 

Wovor haben Sie Angst?

Vor Spinnen und Schlangen.

 

Hat ein Rennfahrer ein Ablaufdatum.

Ja.

 

Wie gross ist die Angst, irgendwann nicht mehr zu genügen? 

Ich überlege schon, wie lange ich das noch machen kann. Oder wie lange ich das noch machen will. Man weiß nie, wann es vorbei ist, dass man schnell fahren kann. Und man weiss nie, ob man noch einmal zurückkommt und wieder schneller wird. Das macht es schwierig. Aber grundsätzlich ist es nicht das Alter, das einem Probleme bereitet, es ist die Motivation. 

 

Reden Sie darüber mit anderen Piloten?

Nein. Für die anderen ist das alles nie ein Problem. Jeder zeigt nur immer Stärke. Ein Beispiel: Auf einer Gegenuhrzeigersinnstrecke fanden Tests statt. Ungewöhnlich, denn fast alle Strecken drehen im Uhrzeigersinn. Also hatte ich nach dem ersten Testtag brutale Nackenschmerzen. Die Kräfte, die auf die Halsmuskulatur wirken, sind ja massiv. Ich fragte die anderen Piloten, ob auch sie Schmerzen hätten. Keiner hatte Schmerzen. Abends sagte ich zun Masseur, ich könne kaum noch den Kopf gerade halten, so sehr täte es weh. Er lachte und sagte, das wisse er, die anderen wären deswegen auch alle schon bei ihm gewesen. So ist das. 


 Sie haben Ihre Frau Isabel auf dem Pausenplatz in der Schule kennengelernt. Aussergewöhnlich in dieser Männerwelt?

Ich kenne noch ein paar andere, die ihre Jugendfreundin geheiratet haben. Isabel kannte mich schon, als ich ganz unten war, jetzt bin ich oben, aber ich weiss, sie liebt mich, nicht den erfolgreichen Rennfahrer.  Hat sie Angst?Nein. Sie sagt, wenn die Zeit kommt, dann kommt sie. Sie macht sich mehr Sorgen, wenn ich nach einem Rennen mit dem Privatauto nach Hause fahren muss.  


Macht ihre Frau einen besseren Mann aus Ihnen?

Ja. Sie zeigt mir auch immer wieder, dass es neben dem Rennsport ein anderes Leben gibt. Die Familie, das ist das Leben, das sie erschafft, das ist für mich Heimat, das ist ihr Verdienst, und ich finde sie eine tolle Frau. Wir kennen uns seit 25 Jahren, aber wir lachen viel, es wird uns einfach nicht langweilig. Wir haben viel zusammen erlebt, sind gemeinsam durch schwierige Zeiten. Es gibt keinen Tag, an dem ich will, dass es anders wäre. Es gibt keine Machtkämpfe, keine Konkurrenz, im Gegenteil, wir harmonieren, und ich bin ein Mensch, der Harmonie braucht.